Sam Winchester´s Home for Christmas, Teil 2


 





Sam wurde durch eine Art Tunnel gezogen und wirbelte mehrere Male um sich selbst, bis er letztendlich abrupt zum Stehen kam.
Sein Magen drehte sich und augenblicklich übergab er sich vor seinen Füßen.
Jessica tätschelte ihm beruhigend die Schulter. „Du gewöhnst Dich dran!“, und wies ihn dann an, nach vorne zu blicken.
Sam erstarrte. „Was zum Geier ist das?“
Jessica blickte mitleidig. „Du solltest eher fragen, WER?“
Sam konnte nicht anders und starrte weiter auf das Szenario vor ihm.
Er und Jessica befanden sich in einer alten Fabrikhalle.
Müll- und Fäkaliengeruch lag in der Luft.
Es hatten sich viele Obdachlose und Junkies eingefunden, die sich diese Stätte teilten.
Zwei Frauen rauchten zusammen Pott, während eine Dritte genussvoll eine Line zog.
Ein untersetzter Mann, Mitte 30, setzte sich einen Schuss und gab die Nadel dann wie selbstverständlich an einen noch sehr jungen Punk weiter, der die Spritze sogleich mit seinem Stoff aufzog.
Hastig band er seinen Oberarm ab und steckte die Nadel tief in seine Vene.
Sam wandte den Blick entsetzt ab und entdeckte noch Grauenvolleres.
Eine junge Mutter wühlte verzweifelt in einer stinkenden Mülltonne und steckte sich dann eine verfaulte Banane in den Mund, während sie ihr Baby fest an ihren Busen drückte, um es zu stillen.
„Wieso zeigst Du mir das?“, fragte Sam.
„Weil Du sehen sollst, wie Scheiße es Dir in sechs Jahren gehen wird, Sam!“
Aus Sam´s Gesicht wich jegliche Farbe. „Mir?“, fragte er tonlos und sah sich leichenblass um.
„Du hast Dean abgewiesen, der Dich aus dieser Misere holen wollte – DAS…“, sie deutete auf einen Penner mit verstümmelten Zähnen und zotteligem Haar, „… passiert mit Dir. Es geht rasend schnell und Du kannst nichts mehr dagegen tun, wenn Du erstmal drin bist.“
Sam betrachtete den Alten näher und sah, dass sein Körper stark gezeichnet war.
Sein Gestank war unerträglich. Die Fäule in seinem Mund war weit fortgeschritten; offene eiternde Stellen zeichneten sich auf seiner Haut ab und seine Augen lagen wie tot in tiefen, dunkel umrandeten Höhlen.
Sein linker Arm war verstümmelt und der Mann kratzte sich ungeniert seine Eier, die wahrscheinlich mit Filzläusen besetzt waren.
„SAM!“
Der junge Winchester drehte sich zeitgleich mit dem alt aussehenden Mann um.
Die junge Mutter, die eben noch den Müll gegessen hatte, kam auf ihn zu.
Achtlos riss sie ihr Baby von der Brust und legte es lieblos auf den Boden.
Sam erkannte entsetzt, dass das Kleine total blau und aufgequollen war. Die Verwesung hatte bereits eingesetzt.
Jessica deutete Sams Blick.
„Es ist bereits seit 2 Wochen tot. Jemand hat ihm nen Schuss verpasst und die Mutter kann sich nicht mit dem Tod abfinden, deshalb legt sie es regelmäßig an und wiegt es in den Schlaf.“
In Sam stiegen Tränen auf, doch dann besann er sich und mimte weiterhin den Coolen.
„Und was geht mich das an?“
Jessica grinste diabolisch. „Es ist Dein Sohn!“

Wieder wirbelte Sam durch den „Tunnel“.
Noch ehe die beiden Zeitreisenden zum Stehen kamen, übergab sich Sam erneut.
Jessica grinste. „Na? Noch nicht dran gewöhnt?“
Sam stützte sich auf seinen Knien ab, wischte mit der rechten Hand seinen Mund trocken und starrte seine „Ex“ grimmig an.
„Oh, ich verstehe. Tut mir leid!“, sagte Jessica, als sie das Entsetzen in seinem Gesicht geschrieben sah und senkte beschämt den Kopf.
„Wo sind wir jetzt?“, lenkte Sam ab und sah sich um.
Die Flure waren leer, in dem Gebäude, in dem sie sich befanden. Es war Nacht und der schmale Korridor wurde von einem dunklen Notlicht beleuchtet.
Jessica griff nach Sam´s Hand und führte ihn eben diesen Flur entlang.
Während sie auf das Zimmer mit der Nummer 341 zusteuerte, fing sie an zu erzählen.
„Nach dieser Nacht, die wir eben gesehen haben, bist Du in die Innenstadt gegangen.
Weihnachten ist schließlich Hochkonjunktur für den Kapitalismus. Du hattest Dir erhofft, einige Dollar für den nächsten Schuss erbetteln zu können…“
Jessica stockte.
„… Dean hat mittlerweile geheiratet und einen kleinen zweijährigen Sohn. Die drei sind an genau diesem Tag über den Weihnachtsmarkt geschlendert. Du hast ihn erkannt und wolltest ihn ansprechen….“
Jessica hielt erneut inne und sah Sam in die Augen. „Es tut mir leid, Sammy. Wenn ich könnte, würde ich Dir all das ersparen, aber ich kann nicht…“
Sie drehte sich erneut um und lief weiter; Sam´s Hand fest in ihrer haltend.
Vor dem Zimmer 341 blieb sie stehen und drückte langsam die Klinke nach unten.
„Du musst verstehen, er hatte Angst um seine Familie und Du hast Dich gesehen, Sam.
Du hast nicht mehr ausgesehen wie Du selbst. Er hat Dich nicht erkannt. Du hast Dich an ihn geklammert und als Du ihn nicht loslassen wolltest….“
„Er hat sich gewehrt“, schlussfolgerte Sam trocken.
Jessica nickte.
„Als er erfuhr, wer Du bist, ist er daran zerbrochen!“
Jessica öffnete schließlich die Tür und deutete Sam an einzutreten.
Er tat es widerstandslos und erstarrte kurz darauf.
Eine hübsche, junge Frau saß weinend und zusammengekauert auf den kalten Fliesen des Krankenhausbodens.
Ihre Augen waren verquollen und zeigten Sam, dass sie wohl nun schon lange Zeit so da sitzen musste.
Ein kleiner Junge mit dunklen Haaren stand am einzigen Bett in dem Raum und schlug die ganze Zeit mit seinen kleinen Fäustchen auf die Decke.
„Daddy, Daddy…“, verzweifelt versuchte er so, die Aufmerksamkeit seines Vaters auf sich zu lenken, doch der Mann regte sich nicht.
Sam näherte sich dem Bett und erkannte, dass die kleinen traurigen Augen des Jungen grün waren.
Er kannte diese Augen nur zu gut. Es waren zwar nicht die ihm vertrauten, aber sie glichen ihnen bis ins Detail.
Der jüngere Winchester wandte den Kopf nach rechts und blickte nun in das um Jahre gealterte Gesicht seines älteren Bruders.
Ein Schauer durchfuhr Sam´s Körper und kurz darauf spürte er Jessicas Hand auf seiner Schulter.
„Er hat versucht, sich mit Tabletten das Leben zu nehmen. Als die Ärzte eintrafen, hatte bereits der Herzstillstand eingesetzt. Dean liegt seitdem im Koma und ist hirntot. Also, selbst wenn er durchkommen sollte, wird er sein Leben lang gepflegt werden müssen.“
„Wieso tust Du mir das an?“
Das erste Mal an diesem Tag zeigte Sam aufrichtige, tiefe Gefühle.
Seine Stimme bebte und Tränen liefen über seine Wangen.
Wütend drehte er sich zu Jessica um, doch sie war bereits verschwunden…

„Scheiße!“ Dean ließ sein Glas fallen und rannte zum Herd.
Hastig riss er die Tür des Backofens auf und verbrannte sich gleich darauf die Finger, als er versuchte, den verkohlten Braten heraus zu ziehen.
„Das gibt hässliche Brandnarben!“
Ellen Harvelle lehnte am Küchentresen und grinste in sich hinein, als Dean ihr vernichtende Blicke zuwarf.
„Danke für deine ‚großzügige’ Hilfe“.
„Immer wieder gerne“, erwiderte Ellen lachend und lief zurück zum Tisch, um sich noch ein Glas Punsch einzugießen.
Joanne, ihre hübsche Tochter, war ebenfalls anwesend.
Sie eilte nun zum Kühlschrank und zog eine Packung Eisbeutel heraus, während sie mit der anderen Hand nach dem Geschirrtuch auf der Ablage fischte.
Hastig wickelte sie den Beutel ins Geschirrtuch ein und kniete sich neben Dean.
„Lass uns doch einfach essen gehen…“
„Nein!“
Deans Antwort fiel schroffer aus, als es geplant gewesen war.
Postwendend entschuldigte er sich bei Jo und nahm die Kühlung dankend an.
„Wieso tust Du das alles? Du weißt doch, wie stur Sam ist - er wird nicht auftauchen.“
Doch Dean schüttelte energisch den Kopf. „Ich bin der Sture, Sam der Vernünftige“
Nun meldete sich Ellen zu Wort, deren Wangen vom Punsch trinken bereits leicht gerötet waren.
„Hast Du ihn Dir mal näher angesehen, Dean? Sam ist nicht mehr derselbe seit…“
Sie leerte ihr Glas in einem Zug und füllte hastig nach.
„… Sam ist wie Du - und Du lebst jetzt so, wie er es sich immer erträumt hatte.“
Ellen lachte laut auf. „Ihr habt quasi die Rollen getauscht!“

„Ich bin nicht wie Dean!“
Sam stand am Fenster des Appartements und regte sich lautstark auf.
John Winchester - also der Geist, der beauftragt worden war, ihm die Gegenwart zu zeigen und nun in Gestalt des verstorbenen Vaters der beiden Winchester Brüder neben ihm aufgetaucht war - grinste.
„Sicher nicht, Du bist schlimmer! Dean war nie in seinem Leben so kaltherzig; und er hätte sich nie so gehen lassen wie Du!“
Sam drehte sich wütend um. Seine Wangenmuskeln zuckten unaufhörlich, als er John böse anfunkelte.
„Und Du siehst nicht nur aus wie mein Vater, Du benimmst Dich auch wie er.“
Der John-Geist tat, als sei er erstaunt. „So schlagfertig, Kleiner?“
Was den Jüngeren nur noch wütender machte, doch John ließ sich nicht darauf ein, sondern versuchte, Sam’s Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Geschehen zu lenken.
„Du solltest Dir das ansehen. Das was Du hier siehst ist die Gegenwart. Wir können dieses Ereignis nicht noch mal Revue passieren lassen, Sammy.“
„Nenn mich nicht so“, zischte der zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
„Sieh es Dir an!“, schrie John nur und Sam zuckte zusammen.
„Ja, Sir!“

Dean und Joanne hatten es sich mittlerweile ebenfalls mit einem Glas Punsch auf der Couch gemütlich gemacht.
Der Tisch war weihnachtlich dekoriert und der Kerzenschein tauchte den Raum in warmes, melancholisches Licht.
„Wieso tust Du das alles?“
Dean sah Ellen ungläubig an. Er konnte nicht glauben, dass sie das wirklich nicht verstand.
Letztendlich führte er es auf die Unmengen an Weihnachtspunsch zurück, die sie bereits getrunken hatte und gab widerwillig Antwort.
„Nach dem ‚Unfall’ von Bobby hab ich Sam gehen lassen. Es ist meine Schuld, dass er jetzt ist, wie er ist. Ich hätte bei ihm sein müssen…“
„Und das willst Du mit einem Weihnachtsfest wieder gut machen?“, unterbrach ihn Jo.
„Nein, verdammt noch mal“, entgegnete Dean mürrisch und kaute nervös auf seiner Unterlippe herum. „...aber es ist ein Anfang - hoffentlich!"

Sam verstand ebenfalls nicht und starrte seinen ‚Vater’ an.
„Dean wusste, wie sehr Du Dir ein normales Leben gewünscht hast, Sammy“, erklärte der John-Geist. „Er hat sein Jägerleben nicht aufgegeben, weil er keine Lust mehr hatte. Er hat es für Dich getan!“
John seufzte laut. „Du hast es noch nie kapiert, wenn Dean es gut mit dir meinte; und 10 Jahre Jagd haben Dich verändert.“
„Soll heißen?“
„Soll heißen, dass alles Scheisse gelaufen ist und Dein Bruder versucht, hier etwas gut zu machen. Du wirst es verstehen…“
Die Welt um Sam drehte sich erneut.
 Endlos lange wirbelte er umher und landete schließlich unsanft auf seinem Hintern… 




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