Sam Winchester´s Home for Christmas, Teil 1

             





Das alte Viktorianische Haus wirkte wie ausgestorben.
Sein äußeres Erscheinungsbild hatte mit Sicherheit schon bessere Tage gesehen und der verwilderte Vorgarten machte den Anblick nicht gerade besser.
Dean Winchester schauderte, als er den kleinen Weg von der Auffahrt her entlanglief, die Kapuze der Schneejacke tief ins Gesicht gezogen.
Vor der Haustür blieb er nachdenklich stehen und zögerte einen Augenblick; würde er jetzt von jemandem beobachtet, hielte derjenige ihn bestimmt für verrückt.
In dieser baufälligen Ruine lebte tatsächlich ein menschliches Wesen - insofern man den Bewohner noch so nennen mochte - und Dean hatte sich fest vorgenommen, diesen Menschen wieder zurück ins Leben zu holen.

Im Inneren des Hauses wirkte es noch trostloser, als es von außen den Anschein hatte.
Kaum vorstellbar, dass sich jemand zwischen all den kaputten, teilweise verschimmelten Möbeln wohl fühlen konnte.
Doch neben dem ganzen Krabbelgetier und den zahlreichen Ratten, hatte es sich ein noch relativ junger Mann bequem gemacht.
Eine zerschlissene, löchrige Matratze diente sowohl als Schlaf - als auch Sitzgelegenheit.
Der Müllberg stapelte sich um ihn und den kleinen Fernseher herum zentimeterhoch, doch der Mann wirkte glücklich.
Zitternd schob er die kinnlangen, strähnigen Haare hinter sein rechtes Ohr und umfasste bald liebevoll den schmalen Hals der Wasserpfeife, die er zwischen seinen Beinen aufgestellt hatte.
Hastig legte er seinen Mund an das Ende des Mundstückes und fischte mit seiner freien Hand nach seinem Feuerzeug.
Erleichtert, als er es endlich zwischen seinen Fingern fühlte, umfasste er es gierig und zündete es.
Die Flamme zog tief ein in das Marihuana-Gemisch, welches im Endtopf darauf wartete, von seinem Besitzer inhaliert zu werden, als es plötzlich an der Tür klopfte.
„Fuck!“ Sam sprang auf und wischte gleich darauf die Funken und das stinkende Gebräu, was sich eben durch den Sturz der Wasserpfeife über seine Hose ergossen hatte, von selbiger und funkelte böse in Richtung Tür.
Der Besucher klopfte erneut und versetzte die „Haustiere“ des jüngeren Winchester in helle Aufruhr.
Quietschend huschten sie davon, während Sam in seiner Hosentasche wühlte und mit Erleichterung einen selbstgedrehten Joint herauszog.
Er packte die Jack Daniels-Flasche am Hals und leerte den Rest mit einem einzigen Zug, bevor er den Joint in den Mund steckte und zweimal hintereinander kräftig daran zog und dann tief inhalierte.
Die Droge zeigte augenblicklich ihre Wirkung und Sams angespannte Mimik machte einem relaxten Platz.
Langsam schlenderte er zur Tür und zog noch 2-3-mal an seinem Joint, bevor er zum Stehen kam und langsam die Haustüre öffnete.

„Mann, siehst Du Scheisse aus!“ Das war das Vernünftigste, was Dean hervorbrachte oder besser gesagt hervorbringen konnte, als er seinen kleinen Bruder erblickte.
Sam kniff eilig seine Augen zusammen, ob der unerwarteten Helligkeit, die ihn blendete und blinzelte den Älteren fragend an.
„Kennen wir uns?“
Dean war fassungslos.
Unwirsch packte er Sam am Handgelenk und zog ihn mit sich.
Inmitten des Gartens befand sich ein kleiner Teich; es lag zwar Schnee, aber es war noch nicht so kalt, dass dieser komplett zugefroren gewesen wäre.
Dean schubste Sam kurzerhand in diesen hinein und so sehr der „Kleine“ sich auch anstrengte, sein Bruder behielt die Oberhand.
Sam resignierte.

„Kaffee?“
Nach dieser Aktion hatte Dean seinen Bruder in den Impala gezerrt und ihn zu sich nach Hause mitgenommen, wo er ihn erst einmal in eine warme Decke gewickelt hatte.
Das 60m² große Appartement war stilvoll eingerichtet und Dean war wirklich stolz darauf.
Das hier war der erste Luxus, den er sich geleistet hatte, nachdem er angefangen hatte, „zivilisiert“ zu werden.
Es fühlte sich gut an ein Zuhause und ein normales Leben zu haben, aber Sam war damit nicht klargekommen.
Er war nach ihrem letzten „Einsatz“ in ein tiefes Loch gefallen und hatte sich von Dean und seiner „Kleinbürgerlichkeit“ abgewandt.
Frisch geduscht kam er nun aus dem marmorierten Badezimmer und rubbelte seine Haare trocken, während er seinen Bruder argwöhnisch betrachtete.
„Kaffee? Gute Idee. Schwarz, mit einem Schuss Whiskey!“
Dean sah ihn missbilligend an „Eine Tasse heißer, schwarzer Kaffee. Kommt sofort!“
„Ich sagte: mit einem Schuss Whiskey!“
Dean knallte die Tasse, aus der dampfender Rauch emporstieg, auf den Tresen und sah Sam fest in die Augen.
„Meine Ohren funktionieren noch ganz gut, im Gegensatz zu deinem Gehirn - falls noch eins vorhanden ist!“
Sein wütender Blick wich augenblicklich einem Mitleidigen.
„Hör zu, Sam, ich will mich nicht mit Dir streiten. Es ist Weihnachten und das möchte ich mit Dir verbringen...“
„Hast Du jetzt Deinen Sentimentalen oder was? Hey, nein, warte: Du sammelst Pluspunkte, um Deine kleine, dreckige Seele vor der Hölle zu bewahren und dieses Jahr bin ich an der Reihe. Wie Nobel, Bruderherz !"
Deans Wangen röteten sich vor Zorn.
Seine Halsschlagader pulsierte und er presste seine Lippen fest aufeinander, um nicht laut los zu brüllen.
„Du bist mein Bruder - nebenbei bemerkt ein ziemlich abgefuckter - und ich will nichts weiter, als dass Du JETZT Deinen Arsch bewegst und mit mir ins Einkaufszentrum kommst.
Du lässt Dich rasieren und Deine Haare schneiden. Ich kauf Dir ein paar neue Klamotten und morgen Abend feiern wir gemeinsam Weihnachten, hast Du das kapiert?“
„Klar!“
„Fein.“
„Fein!“
Also gehen wir?“
„Sobald ich angezogen bin.“
„Drecksack.“
„Schlampe.“
Dean lächelte amüsiert, als sein Bruder wieder zurück ins Bad lief.
Er hatte gewusst, dass es schwer werden würde, Sam wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Doch er liebte ihn über alles und er hatte es sich selbst am Grab seiner Eltern geschworen.
Wie schwer dieses Unterfangen noch werden würde, merkte Dean einige Stunden später…

Den ganzen Tag waren sie unterwegs gewesen.
Dean hatte Sam ein neues Styling verpasst und nun sah er wieder aus wie der Alte.
Doch so gut es anfangs gelaufen war, umso schwieriger wurde es nun.
Sam nörgelte ständig herum. Hielt an jedem Laden, um sich Alkoholnachschub zu holen - auf altbewährte Weise: mit Kreditkartenbetrug - und mittlerweile war er so voll, dass Dean erstaunt war, dass Sam überhaupt noch aufrecht gehen konnte.
Nachdem er seine letzten Einkäufe getätigt hatte, lief er mit Sam zurück zu seinem Wagen, den er aufgrund von Parkplatzmangel am Waldrand geparkt hatte und dort spitzte sich die Lage zu.

Sam stand hinter dem Wagen seines Bruders und hatte beide Hände fest auf den Kofferraum des Impala gelegt.
„Fahr los!“
Dean trat aufs Pedal, doch der Wagen bewegte sich keinen Millimeter. Die Reifen drehten durch und versanken nun immer tiefer in das weihnachtliche Weiß.
Sam, der eine gehörige Ladung matschigen, mit Erde vermischten Schnee mitten ins Gesicht bekommen hatte, ließ schlagartig vom Wagen ab und fluchte.
„Verdammte Scheisse, Dean. Das ist alles Deine Schuld.“
Wütend stapfte er auf die Fahrertür zu und riss sie sauer auf, während er seinen Bruder anschrie. „Ich hab Dir gesagt, lass es bleiben. Aber Du musstest ja unbedingt Weihnachten feiern, nicht wahr? Du musstest wie ein Mädchen shoppen gehen und 3 Stunden in der Schlange stehen, nur um diesen bescheuerten Baum zu bekommen!“
Sam verlieh seiner Wut Ausdruck, indem er dem Baum einen kräftigen Stoss gab und selbiger krachend vom Dach fiel.
Dean stieg, nun ebenfalls wütend, aus und stellte sich drohend vor seinem ‚kleinen’ Bruder auf.
„Was ist Dein beschissenes Problem, Dude? Denkst Du, ich hab das alles für mich allein veranstaltet? Hätte ich gewusst, was Du für ein Weihnachtsmuffel bist, hätte ich es sein lassen!“
„Für mich?“ Sam lachte höhnisch auf. „Klar! Für mich. Und die neuen Lederbezüge fürs Auto, das Lenkradschloss und der CD Player sind für MEIN Auto, huh? Ganz zu schweigen von der Politur, den neuen Reifen und dem bescheuerten Aufkleber fürs Heck…“
„Leck mich am Arsch, Sam. Du hast doch keine Ahnung.“
Dean, der sich zurück ins Auto setzen wollte, drehte noch mal um „Als wir beide vor 10 Jahren angefangen haben, gemeinsam auf Jagd zu gehen, hatte ich immer gehofft, dass wir eines Tages zusammen Weihnachten feiern - als Familie. So wie früher als Mom und Dad noch bei uns waren…“
Dean senkte den Kopf und presste seinem Bruder dann ein kleines, in Weihnachtspapier gehülltes Päckchen an die Brust
„… Ich hab mich wohl geirrt. Merry Christmas, Sam!“, fügte er leise an und setzte sich dann hinters Lenkrad, zog seine Schlüssel ab und lief davon.
„Dann verpiss Dich doch. Ich brauch weder Dich noch dieses bescheuerte Fest!“, schrie Sam ihm hinterher, schmiss sich auf den Beifahrersitz des Impala und grummelte.
Er verstand überhaupt nicht, warum Dean sich so aufführte, nur weil er keine Lust auf dieses bescheuerte Fest hatte!
„Weihnachten ist der Orgasmus des Kapitalismus“, hatte sein Collegefreund Matt einmal gesagt und damit hatte er vollkommen Recht gehabt.
Der wahre Sinn von Weihnachten war doch eh schon lange verloren gegangen. Heutzutage ging es nur noch darum, wer die meisten und teuersten Geschenke bekam.
Es ging nicht mehr um Liebe und das Zusammensein mit der Familie…
Sam lachte bitter auf.
Beides waren Dinge, die er schon lang nicht mehr besaß…
Sam beugte sich nach vorne und kramte im Handschuhfach. „… Irgendwo hat er doch bestimmt… wusste ich’s doch!“
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht zog Sam eine Packung M&M´s heraus und lehnte sich zufrieden zurück.
Hastig riss er die gelbe Packung auf und stopfte sich eine Handvoll der mit Schokolade überzogenen Nüsse in den Mund.

„Du bist ein ziemlich selbstgefälliges Arschloch geworden, Samuel Winchester.“
Der Brünette verschluckte sich heftig, als die zarte, weibliche Stimme, die wie aus dem Nichts aufgetaucht war, zu ihm sprach.
Als er sich halbwegs gefangen hatte, wandte er seinen Kopf und erschrak erneut. „Jessica?!“
Die blonde Frau strahlte ihn an. „Dass Du Dich nach all den Jahren noch an mich erinnerst…“
Sam strahlte und streckte verlangend seine Finger nach ihr aus. „Wie könnte ich Dich vergessen?“
‚Jessica’ wich etwas zurück „Ich will Dir nichts vormachen, Sam. Du weißt genauso gut wie ich, dass ich nicht Jessica bin, oder?“
Der jüngere Winchester nickte.
„Gut. Nennen wir mich der Einfachheit halber ‚den Geist der zukünftigen Weihnacht’, okay?“
Sam prustete lautstark los, was ein Augenbrauenhochziehen des Jessica-Geistes bewirkte.
Dann zog er eine kleine, grüne Flasche aus seiner Jackentasche und leerte sie in einem Zug.
„Du willst mir also erzählen, ich mach Dir hier den Bill Murray, während Du mit mir durch Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit wandelst, um mich zu bekehren, huh?“
Nun nickte der Jessica-Geist. „So in etwa, ja!“
„Und wenn ich nicht mit Dir komme?“
Der Geist blickte Sam lieblich an, während sie ihm eine Hand auf seinen Oberarm legte.
 „Du hast keine andere Wahl!“ 




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