Groupie Girl, Teil 22



Teil 22: Tom

Nach „Roth“ brauchte es wirklich starke Überwindung, Sebastian wieder unter die Augen treten zu können. 

Bei Konzerten mied ich den Augenkontakt mit ihm und redete auch danach nicht großartig viel oder gar nicht mit meinen Bands.

Wenn er mal als Zuschauer bei einer meiner anderen Bands dabei war, tat ich so, als würde ich ihn nicht sehen.

Totaler Unsinn!

Sebastian war mindestens 1,90 Meter groß.

Ihn konnte man gar nicht übersehen, selbst wenn man wollte. Aber gut. 

Irgendwie musste ich das halt überstehen. 

Notfalls eben auch mit idiotischen Aktionen meinerseits.

 

Im Februar 2019 spielte Tom ein Solo-Konzert, als Support einer amerikanischen Rockband.

Der Eintrittspreis folgedessen schweineteuer, aber ich brauchte Ablenkung und wollte so auch Tom ein bisschen beweisen, dass ich eben nicht nur wegen Basti zu seiner Band kam.

Die „Trees“ lagen mir mittlerweile wirklich sehr am Herzen und waren eine meiner absoluten Lieblingsbands.

Ich hoffte, dass ihm das nach diesem Abend klar war. 

Vorfreudig stellte ich mich in die erste Reihe und zückte mein Handy.

Ich schrieb meinen Kindern noch kurz eine „Gute-Nacht“ WhatsApp Nachricht und dann kam Tom auf die Bühne.

Als er mich entdeckte, weiteten sich seine Augen vor Überraschung und dann winkte er mir strahlend zu.

Es waren mal wieder alle Zuschauerblicke auf mich gerichtet, aber das war ich nun ja schon halbwegs gewohnt.

Nur mit Gitarre und Mikro performte Tom all seine Hits an dem heutigen Abend alleine.

Und es war gut!

Gedanklich hatte ich Alex und Bastis Gitarreneinsätze und Kais Drums im Kopf, sowie Bastis Background Vocals.

Tom war zwar alleine auf der Bühne, doch im Gedanken und im Herzen waren alle vier hier bei mir. 

Ich schloss die Augen und genoss den 20-Minütigen Auftritt.

Als Tom fertig war, drängte ich nach hinten raus, verschwand auf der Toilette und stellte mich dann in den Biergarten, um eine zu rauchen.

Als ich da so gedankenverloren rumstand und an meiner Kippe zog, wurde ich kurze Zeit später von Tom angesprochen.

„Hi, Michelle, sag mal, bist Du verrückt?“

Gedankenverloren und verwirrt starrte ich den Bärtigen an.

„Hast Du jetzt echt 40 Euro Eintritt gezahlt? Du hast Sie doch nicht mehr alle!“ Tom lachte auf.

Ich lachte ebenfalls „Ich wollte Dich sehen“, war meine knappe, aber ehrliche Antwort.

Und als könnte er meine Gedanken lesen, fügte er an, „Du hättest keine Unsummen zahlen müssen, um mir zu beweisen, dass Du nicht nur wegen Basti zu uns kommst.“

Ich riss meine Augen auf.

„Manchmal bist Du mir unheimlich Tom.“

„Weil ich Recht habe?“ 

Ich nickte stumm.

„Ich hab nur `ne gute Menschenkenntnis und Augen im Kopf. Sag mal, apropos Basti: was war das kürzlich mit euch beiden? Diese Aktion in Roth?“

Ich riss wieder die Augen auf. „Du weißt davon?“

„Halbwegs. Hab nur mitbekommen, dass da wohl `ne unangenehme Sache passiert sein soll, zwischen euch.“

Ich verdrehte die Augen und sofort schossen mir wieder heiß die Tränen auf.

„Tom, es war furchtbar!“… und so erzählte ich ihm kleinlich genau die Vorkommnisse dieses Abends.

Als ich fertig war, schaute mich der leicht ergraute Sänger an, seine Blicke gingen hektisch hin- und her und dann lachte er.

„Na gut, dass das endlich mal ausgesprochen wurde.“

Ich starrte ihn fassungslos an, grübelte und da sein Lachen so ansteckend war, stimmte ich mit ein. 

Einige Sekunden lachten wir, als hätten wir `nen guten Witz gehört; mein Bauch fing schon an weh zu tun.

Ich kramte ein Taschentuch aus meiner Handtasche und wischte die Freudentränen weg.

„Meinst Du echt? Ist Basti nicht super angepisst oder so?“

Tom winkte ab. „Ach was. Basti vergöttert Dich. Du bist sein treuester Fan.“

Ich senkte beschämt den Kopf.

„Außerdem, ehrlich, Michelle: wir alle wissen doch, dass Du in ihn verliebt bist.“

´Alle?!´ Ich schaute ihn verstört an.

Tom winkte wieder ab. „Das wundert Dich? Du solltest Dich mal selbst sehen bei Konzerten. 

Manchmal sitzt Du extrem genervt und unruhig auf Deinem Platz und sobald Basti die Bühne betritt oder Du neben ihm stehst, Dich mit ihm unterhältst, strahlst Du mit der Sonne, dem Mond und den Sternen um die Wette.

Deine Augen funkeln und Du bist in den Momenten die wunderschönste Frau auf der ganzen Welt, weil dieses Strahlen so ehrlich, herzlich und voller Liebe ist.

Das ist der Wahnsinn.

Wie zwei völlig verschiedene Personen: das scheue Mauerblümchen kommt zu unseren Konzerten, das strahlende Modell geht.“

„Echt? So heftig?“ ich staunte.

„Nicht nur mir ist das aufgefallen, weil es nicht zu übersehen ist.“ Tom nickte bestätigend, dann zog er mich in seinen Arm. „Ich darf doch?“

Er drückte mich väterlich an seine Brust und strich mir über den Rücken.

„Sebastian mag Dich wirklich sehr und wegen der Sache in Roth: ich denke echt, das musste mal gesagt werden. Nimm es Dir nicht so sehr zu Herzen.

Basti freut sich, wenn Du kommst und ihn macht es echt fertig, dass Du ihn die letzten Wochen ignoriert hast.“

Ich löste mich aus Toms Umarmung und staunte. „Das tut mir leid, ich wollte das nicht.“

Tom klopfte leicht auf meinen Kopf. „Nicht zuviel Denken!“

Ich nickte. „Okay.“

 

Tom gab mir eine Zigarette, zündete sie mir an und wir redeten noch eine ganz Weile über alles Mögliche, während drinnen die Hauptband spielte. 

Es war mittlerweile weit nach 22 Uhr und Tom wollte sich schleunigst auf den Weg machen, da seine Familie zuhause auf ihn wartete.

Ich umarmte ihn und bedankte mich nochmal für die Zeit, die er sich für mich genommen hatte.

Als ich gerade gehen wollte, rief er mir nochmal hinterher.

„Du, Michelle, wir spielen demnächst übrigens in München, im Milla.

Wenn Du Zeit hast und kommen magst: ich kann Dich gerne auf die Gästeliste setzen.“

„Ich werde da sein“, sagte ich und winkte, ehe ich freudig nach Hause fuhr. 

 

Natürlich war das „Problem“ nicht gelöst, aber dieser Abend hatte es mir wesentlich leichter gemacht.

Und Tom hatte Recht gehabt.

Als ich Basti das nächste Mal sah, war es, als wäre nie irgendetwas vorgefallen.

Wir begrüßten uns wie alte Freunde und redeten ausgelassen miteinander.

Es folgten noch viele Konzerte bis zu jenem „schicksalhaften“ Abend in München, wo ich mich natürlich nicht auf die Gästeliste hatte setzen lassen, sondern brav ein Ticket gekauft hatte.

Und dann war all dieses Zeug passiert, kurz vor der Pandemie und ich krämte mich schrecklich, weil ich es – mal wieder – verbockt hatte. 





- Weiter -