Groupie Girl, Teil 14



Teil 14: Rückblicke

Ich war nie ein Mensch gewesen, der sich großartig für Weggehen und Konzerte interessiert hatte.

In meiner Jugend hatte das Geld gefehlt, dann musste ich sehr schnell erwachsen werden, mit dem Erwachsen-Werden kamen Geldsorgen.

Ich wusste bereits mit 14, dass ich früh heiraten und zwei Kinder haben wollte.

Nach zwei sehr toxischen Beziehungen, in denen Alkohol und Gewalt zum Alltag gehörten, in denen ich regelmäßig verprügelt und gedemütigt wurde, hatte ich Simon kennen gelernt.

Mein ´Ritter in scheinender Rüstung´.

Simon war der erste Mann gewesen, bei dem ich mich als Frau und geliebt fühlte.

Ihn störte es nicht, dass ich ruhig war und kein Selbstbewusstsein besaß.

Er tat sein Bestes, um mich wie eine Königin zu behandeln und mich wissen zu lassen, dass ich etwas wert war.

Unsere Beziehung lief wie im Märchen ab: verliebt, verlobt, geschwängert, erste gemeinsame Wohnung und das alles in nur 5 Monaten.

Sophie war das Produkt unserer aufrichtigen und wundervollen Liebe zueinander.

Fünf Jahre später kam Jaden. Wir hatten ihn uns genauso gewünscht wie Sophie.

Er war mein Sonnenschein, mein Leben, meine große Liebe.

Für dieses Kind hätte ich alles getan.

Ich wäre auch für ihn gestorben, ohne nur eine Sekunde darüber nachzudenken. 

Aber mit der Geburt von Jaden veränderte sich Simon zunehmend.

Er distanzierte sich vom Familienleben, fing an, Sophie schlecht zu behandeln und ließ mich immer mehr und mehr im Stich.

Drei Jahre nach Jadens Geburt, flatterte ein Schreiben seines Rechtsanwaltes ins Haus.

Die Aussage war klar: ein Leben mit mir sei unerträglich geworden.

Ich würde mich weder um Haushalt, noch Kinder kümmern, habe schlimme psychische Probleme, die das Kindswohl gefährden.

Ich müsse umgehend die Wohnung räumen, die Kinder müssen, zu ihrem Wohle, beim Vater bleiben.

Das war die Kurzfassung.

Die nächsten 2 Wochen stand ich blöd rum und sah wortwörtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Auch nicht das absolut Offensichtlichste, nämlich dass Simon eine Affäre mit unserer Nachbarin angefangen hatte und mich deshalb loswerden wollte.

Die Kinder hatten zu den Nachbarn bereits eine gute stabile Beziehung aufgebaut, nannten sie „Mama“ und ihre Eltern „Oma“ und „Opa“.

Wie gesagt: wie dumm kann ein einzelner Mensch sein?

Wieso hatte ich all diese offensichtlichen Zeichen erst Wochen nach unserer Trennung bemerkt?

Zwei Wochen später war ich ausgezogen, wieder bei meiner Mutter eingezogen und meine Kinder, bis zum entscheidenden Gerichtstermin, im Heim untergebracht.

 

Da ich viel zu viel Zeit zum Nachdenken hatte und viel zu viel Zeit, um im Internet abzuhängen, erfuhr ich, dass meine Band, die einzige Band, die ich seit meiner Kindheit hatte, auf Tour war.

Ich musste sie einfach live sehen! Der einzige Traum, den ich je gewagt hatte, zu träumen.

Dieser Tag veränderte alles.

Da stand ich im Hochsommer, in einer überfüllten Halle mit 2000 fremden Menschen.

Ich hatte kaum Luft zum Atmen und dann fiel der Vorhang und ich stand im selben Raum, wie meine absolute Lieblingsband.

In dem Moment war alles vergessen.

Ich vergaß die Hitze.

Ich vergaß die zig Menschen um mich herum, die nach Bier, Schweiß und Urin rochen.

Ich vergaß, dass ich fast kein Selbstwertgefühl besaß und viel zu schüchtern für irgendwas war.

Es gab nur noch mich, die Band und die Musik.

Ich grölte aus vollem Hals die Lieder mit, die ich selbst im Schlaf auswendig konnte und tanzte mir die Seele aus dem Leib.

Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Leute mich beobachteten, aber das war mir so was von scheißegal.

Ich hatte den Adrenalinschub meines Lebens.

 

Einige Minuten bevor das Konzert zu Ende war, holte ich mir etwas zu trinken und beschloss, schon mal zu gehen.

Ich wollte nicht mit dieser riesigen Meute in einem Zug sitzen und so drängelte ich durch die restlichen Reihen und nach draußen.

Langsam schwebte ich geradezu in Richtung der S-Bahn Station und war so beflügelt, dass ich die Arme weit auseinander breitete und rief „Ich bin der König der Welt!“

Nie wieder in meinem Leben hatte ich so ein Hochgefühl und konnte danach schlafen wie ein Baby.

Konzerte waren genau das, wonach ich mein ganzes Leben lang gesucht hatte.


Zwei Jahre später kam der Drummer dieser Band auf Solotour und hatte eine lokale Band im Schlepptau.

Ich war sehr aufgeregt, denn A. konnte ich mir dieses Event unmöglich entgehen lassen.

B. War ich Ahnungslose super stolz und aufgeregt, dass es hier eine Stadteigene Band gab.

Zurück blickend weiß ich nicht, ob ich mich für diese Gedanken schämen oder schallend lachen soll. 

Eine Band!

Kleine naive, dumme Michelle!

In dieser Band spielte Sascha, der Leadsänger meiner jetzigen Lieblingsband, den „Dingoes“ in der auch Basti und Lukas spielten.

Ich war ziemlich angetan von Saschas Spielkünsten an diesem Abend.

Mich faszinierte wie seine Finger scheinbar nur leicht über die Saiten glitten, fast als würde er sie gar nicht berühren und damit so wundervolle, perfekte Klänge erzeugte.

Ich wurde Fan dieser Band und erfuhr so bald, dass Sascha noch eine weitere Band hatte.

Ein weiteres Jahr verging und ich kam endlich in den Genuss, die „Dingoes“ live zu erleben.

Anfangs konzentrierte ich mich nur auf den Gesang und das Gitarrenspiel Saschas.

Die anderen kannte ich ja nicht und die waren auch erstmal nur beiläufig interessant.

Doch meine Konzertfreundin Nicole, die ich an jenem Abend kennen gelernt hatte, fragte mich während des Konzertes ständig nach dem Namen der anderen Bandmitglieder.

Woher hätte ich die denn wissen sollen? 

Mir war die Band noch ganz neu und ich hatte nur 1-2 Mal in ihr Album bei Spotify reingehört.

Ich wusste wer Sascha war, aber das wars auch schon.

Besonderes Interesse weckte bei ihr Basti.

Der stand da auf der Bühne – eigentlich eher unscheinbar, wenig attraktiv - hampelte auf der Bühne hin und her und zog wilde Grimassen.

Affig fand ich den. Jawoll.

 

Anfang 2015 schleppte mich Nici dann schließlich mit zu `nem Konzert „einer Band, die ich ungedingt gesehen haben muss, weil da spielt der Basti!!!“

Ich hatte keine verdammte Ahnung, was sie von mir wollte. 

Ich hatte jetzt 3 Bands, das war mehr als genug.

Und wer zum Geier war Basti? 

Sie zeigte mir Bilder und meinte „Na daaaaaaaaa. Der Bassist unserer Baaaaand.“ 

Genauso sagte sie das.

Und genauso stand ich im Wald.

Der Kerl auf den Fotos sah gar nicht aus wie dieser hampelnde, Grimassen  schneidende Basti.

„Basti, ja genau.“

Ich verdrehte die Augen und ließ mich mitziehen.

Basti und seine Kollegin dieses Duetts - ihr Name war Melina – kamen auf die Bühne und fingen an Folk zu spielen.

Erneut verdrehte ich die Augen. Ich hasste Folk.

Eigentlich hasste ich alles, ausser Punk.

Punk – bis auf das Pogen. 

Rumhüpfen und Kopf wild rumschütteln ging, aber nicht pogen!

Doch dann stimmte Basti seinen Song „Wasted Time“ ein, den sie gerade veröffentlicht hatten und mir fiel die Kinnlade herunter.

Das war mit Abstand die engelgleicheste Stimme, die ich je gehört hatte. 

Ich war verzaubert.

Am Ende des Abends, als wir uns CDs holten und diese signieren ließen, erkannte ich Blindfisch dann auch endlich, dass es sich wirklich um Basti handelte.

 

Von da an sah ich ihn ständig: ob mit Melina zusammen oder den „Dingoes“, im Theater, manchmal auch per Zufall und mit jedem Mal wurde mein Herzrasen schlimmer und meine Unzufriedenheit mit meinem Aussehen größer.

Als ich dann Basti bereits zwei Jahre kannte und wir einfach nur ein chilliges Konzert haben und danach nach Hause gehen wollten, merkte ich, dass sich etwas verändert hatte.

Basti sah an dem Abend super schmuddelig und ungepflegt aus, doch ich sabberte ihn geradezu an, was auch Nici mitbekam.

Sie klatschte mir hart auf den Hinterkopf und fragte, ob ich blind sei.

„Der sieht aus wie `n Penner und du sabberst den an? Und seit wann bist Du eigentlich n `Groupie?“

„Ich bin kein scheiss Groupie“, giftete ich zurück und schlug sie gegen den Arm.

Basti beobachtete uns und lachte dreckig, während Melina ihren Song performte.

Genau dieses Lachen, was ich seit jenem Abend über alles liebte; welches mein Herz zum Glühen und mein Gesicht zum Strahlen brachte.

Zum letzten Song kamen die beide von der Bühne und sangen im Publikum.

Das war das erste Mal, dass mir ganz schlecht wurde, weil ich ihm so nahe war.

Ich wollte danach nichts weiter, als nach Hause. Nicole willigte in meinen Wunsch ein und ich schaute nochmal zurück zu Basti, der sich angeregt mit einigen neugierigen Zuschauern unterhielt. 

Kurz bevor wir am Ausgang ankamen, packte mich jemand von hinten, knuddelte mich fest an seine Brust und meinte, „Schön, dass du wieder da warst, Michelle.“

Ich roch Schweiß, Bier und Tabak und sah ein Stück blauen Ärmel.

Basti? 

Ich stammelte ein verwirrtes „Gerne doch“ und sah aus dem Augenwinkel, wie Nici mit Melina redete, die sich ebenfalls für unsere fleißigen Konzertbesuche bedankte.

Basti ließ mich los, strahlte mich über beide Ohren an und meinte, „Danke. Bis Bald“, und ließ mich einfach stehen.

Ich weiß nicht wie lang ich da, blöd glotzend und sprachlos stand, aber irgendwann nahm ich Nicole wahr, die mich fragte, ob alles gut sei.

„Äh?“

„Hallo? Erde an Michelle?“

„Was?“ Ich starrte meine Freundin an und verstand noch immer nicht, was sie von mir wollte, wo wir grad waren, wieso wir waren und wie war mein verdammter Name gleich nochmal? 

Nici verdrehte die Augen und packte mich am Arm, doch ich blieb stur stehen. „Kann nicht.“

„Hast du auch gelernt in sinnvollen Sätzen zu sprechen?“ Nici verlor langsam die Geduld mit mir. 

Ich kniff kurz die Augen zusammen und schimpfte mich selbst, mich doch endlich wieder einzukriegen.

„Können wir uns bitte einen Moment setzen“, fragte ich sie flehend.

„Klar, alles gut? Hast du wieder ne Panikattacke?“ Nici verfiel sofort in ihren mütterlichen Modus, kramte in ihrer Tasche und hätte mit Sicherheit das Passende dabei gehabt, um meine Attacken verschwinden zu lassen.

„Ich kann nicht laufen. Ich… Können wir bitte 5 Minuten sitzen? Füße. Blei. Ohnmacht… Basti!“

Nicis entgeisterter Blick wich einem belustigten und sie brach in richtig dreckiges Lachen aus, dreckiger als es einer Frau gestattet sein sollte. „Dich hat es ja heftigst erwischt.“

 

 


- Weiter -