Groupie Girl, Teil 13



Teil 13: Die Pandemie 

So sehr ich diese verdammte Pandemie anfangs belächelt hatte, umso härter traf sie mich nun.

Es war Juni 2020 und ich hatte meinen Job verloren, durfte meine Kinder nicht sehen und hatte schwerste Depressionen.

 

Mein Ex Simon, der das Sorgerecht für die Kinder erhalten hatte, redete sich paranoid ein, dass meine Kinder sterben müssten, wenn sie zu mir in die “böse Virenverseuchte Stadt“ kamen.

Zur Erklärung: Als wir damals Sophie bekommen hatten, waren wir aufs Land gezogen.

Meine Kinder waren also eingefleischte Dorfkinder, die nur die letzten 10 Jahre alle 2 Wochen am Wochenende und in den Ferien zu mir kamen.

Ich war nach der harten Trennung und dem absolut ekelhaften Sorgerechtstreit wieder in meine Heimatstadt gezogen und war in tiefe Depressionen versunken.

Simon hatte mir einfach alles genommen, was mich ausmachte, was mein Leben erfüllte.

Mein Leben, meine Kinder, meine Liebe zu ihm. Ich hatte nur noch sterben wollen. 

Anfangs durfte ich meine Kinder gar nicht mehr sehen, dann nur alle 4 Wochen.

Ich lebte für diese Momente, sie waren mein ganzer Lebensinhalt. 

Das Schlimmste an dem Ganzen war, dass meine Kinder gerade mal 3 und 8 Jahre alt waren und ich seitdem quasi ihr ganzes Leben verpasste.

Simon hatte mir anfangs noch Hoffnung gemacht und gesagt, wenn ich mich „bessere“, würden wir wieder zusammen kommen.

Aber mal ehrlich? Wie sollte ich mich „bessern“, wenn ich nicht mal wusste, was ihn an mir störte? 

Es gab psychologische Gutachten, Gerichtstermine noch und nöcher.

Meine Kinder wurden mir immer fremder, meine Depressionen schlimmer.

Ich fiel einfach in ein tiefes Loch und als mir das Jugendamt dann mitteilte, dass ich mir keine hohen Chancen ausmalen dürfte, meine Kinder je wieder bei mir zu haben – da fingen meine Panikattacken und Selbstmordgedanken an.

 

Simon und ich trafen uns weiterhin. Er schmeichelte mir, log mich an, wie toll ich sei, was für große Fortschritte ich mache; obwohl ich ja gar nichts tat, ausser irgendwie zu überleben.

Wir schliefen miteinander, verbrachten glückliche Stunden miteinander und sobald ein Termin wegen der Kinder anstand, behandelte er mich, als sei ich das Letzte.

2 Jahre war ich blind durch die Gegend gelaufen.

Hatte es sogar hingenommen, als er eine neue Freundin hatte, weil er mir immer wieder beteuerte, dass er sie nicht liebte und sie „einfach eingezogen“ sei.

Wie blöd kann eine einzige Frau sein? 

Weihnachten 2013 teilte er mir mit, dass er wieder Vater wurde.

Hätte man mir `nen Vorschlaghammer in die Fresse gedonnert, hätte es weniger geschmerzt.

Ich rastete so richtig aus.

Meine gerade neu gefundene und frisch renovierte Wohnung wurde in alle Einzelteile zerlegt.

Daraufhin schmiss ich ihn raus und heulte so sehr, dass ich dachte, ich könne nie mehr aufhören.

Ich hasste dieses verdammte Kind so sehr.

Ich hatte mir gewünscht, dass es im Mutterleib stirbt. Ein widerwärtiger Gedanke!

Oder dass ich sterbe. Oder er.

Dann würde ich automatisch das alleinige Sorgerecht bekommen.

Das wär’s halt gewesen, oder? 

Aber „leider“ erfüllte sich keiner dieser Wünsche.

Dafür wurde ich allerdings mit einer bipolaren Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, einer Sozialphobie, ein paar diversen Zwangsstörungen – alles Nachwirkungen dieser Trennung.

Ende Dezember 2013 wurde Simons zweiter Sohn geboren und im März 2014 gab es einen Zwischenfall, weshalb beschlossen wurde, dass meine Tochter zu ihrem Vater ziehen darf.

Ich wurde nicht gefragt.

Es war wie selbstverständlich gewesen, ihn anzurufen und Sophie abholen zu lassen aus dem Heim, in dem meine Kinder seit der Trennung untergebracht waren. 

 

Der Kampf der letzten 3 Jahre komplett umsonst.

Wahrscheinlich hatte die neue Beziehung und das neue, doofe Baby sein übriges dazu getan, dass er „tauglicher“ als allein erziehendes Elternteil war als ich.

Ich stürzte in meine nächste Depression, stand mehr als einmal am Bahnhof und schaute mir die Gleise an.

Diese wundervollen, Erlösung bringenden Gleise, auf denen mehrmals am Tag ein Zug drüber rauschte.

Es wäre nur ein kurzes loslassen, ein kleiner Sprung.

Augen zu und durch!

Ich würde hart auf den Gleisen aufschlagen, der Zug würde mich überrollen. Vielleicht ein kurzer Schmerz und es wäre vorbei.

Problem an dem Ganzen: eine meiner dummen Zwangsstörungen war das Überdenken von Sachen.

Ich konnte nie irgendwas einfach hinnehmen. Ich hatte eine Situation und direkt 10.000 katastrophale Ausgänge dieser Situation im Kopf.

Eine dieser Situationen in diesem Fall war, dass ich nicht richtig vom Zug erfasst wurde und mir nur einzelne Gliedmaßen zerfetzt würden.

Sobald der Zug also vorbei gefahren war, lag ich blutender Klumpen Mensch auf den Gleisen, mein linker Arm und mein rechtes Bein irgendwohin mitgerissen, mein Gesicht unkenntlich zerstümmelt.

Ich würde das unter sehr großen Schmerzen überleben. Yay.

Aber ich wäre halt mein ganzes Leben lang entstellt und auf fremde Hilfe angewiesen.

Alkohol und Drogen waren noch nie mein Ding gewesen, sonst hätte ich mich wahrscheinlich alternativ diesen hingegeben, um den Schmerz zu betäuben und ja, was soll ich sagen? 

Das sind die einzigen traurigen Gründe, weshalb ich noch auf Erden wandle. Lucky me. 

Diese hässlichen Gedanken kamen diesmal, zum Glück, nicht zurück

Die Depression war trotzdem nicht einfacher.


Jetzt da ich so Arbeits- und Kinderlos war, hatte ich genug Zeit über all die kleinen Begebenheiten nachzudenken, die mich zu meiner Konzertleidenschaft und Sebastian geführt hatten.

Diese schlimme Zeit nach der Trennung war eine davon. 

Was blieb mir schon anderes übrig? 

Ich konnte nicht jeden Tag meine Wohnung von oben bis unten putzen.

Die Leute im Internet wurden immer bekloppter und machten mich ganz verrückt mit ihrer Aggressivität und ihren Verschwörungstheorien.

Fernsehen langweilte mich. Ebenso das Zocken von Computerspielen.

Lesen war zu langweilig.

Und seit neuestem machte es mich ebenso wahnsinnig aggressiv, Puzzle zu machen. Dabei hatte ich das mal so geliebt.

 

Neben all dem Mist und meinem Selbstmitleid, brachte mich die Sorge um meine Bands fast um.

Einigen schrieb ich ab und an, um nachzufragen, ob alles okay sei – der große Vorteil, bei kleinen lokalen Bands.

Die waren noch dankbar für treue Fans und regelmäßige Besucher und deshalb war meine Bindung zu ihnen auch sehr viel intensiver, als sie je zu einer kommerziellen Band sein könnten. 

Die meisten antworteten mir dankbar. Basti nicht.

Ich hatte mehrfach versucht ihn über verschiedene Wege zu kontaktieren.

Manchmal dauerte es Wochen, bis er die Nachrichten las, manchmal las er sie gar nicht.

Aber Antworten gab es nie.

Ich stürzte noch mehr ins Tief und dachte, dass mich eventuell die neu ins Leben gerufenen Online Konzerte, etwas ablenken könnten.

Doch es spielten einfach die falschen Bands und Online Konzerte waren genauso öde, wie Youtube Videos glotzen.

Das brachte mir nur noch mehr miese Stimmung ein. 

 

2 Jahre nachdem die Pandemie ausgebrochen war, war ich am absoluten Tiefpunkt meines Lebens.

Ich sah verlebt und eingefallen aus, meine Haare waren strähnig und kaputt, mein Gesicht voller Unreinheiten und meine Haut fühlte sich an, wie über Schmirgelpapier gezogen.  

Außerdem hatte ich grandiose 15 Kilo zugenommen.

Ich mutmaßte, dass es daran lag, dass wir kaum noch frische Luft bekamen, uns mit Masken schützend, wenn wir dann mal raus durften.

Meine Psyche und das Überdenken taten ihr Übriges. 

 

Seit Tagen lag ich auf der Couch und stopfte ungesundes Zeug in mich hinein. Ich war einfach lethargisch und konnte nichts dagegen machen, außer mich dem hinzugeben. 

Die Nachrichten schürten die Angst der Bevölkerung mit immer mehr und schlimmeren Meldungen über den Virus.

Mutierte Versionen gab es schon mindestens zwei und kaum, dass unsere Infektionszahlen sanken, ich einen kleinen Lichtblick hatte, kündigte unsere Bundeskanzlerin auch schon die „apokalyptische“ neue Infektionswelle an, die kommen könnte. 

Kaum ausgesprochen, war sie auch schon da, die Zahlen stiegen wieder an und ich fiel erneut in ein Loch.

Jedes tiefer als das Vorherige. 

 

Wenn wenigstens meine Konzerte stattfinden würden.

Meine wundervolle Musik, die mir schon einmal das Leben gerettet hatte…

Ich wusste diesmal absolut nicht, wie ich mich hieraus retten sollte.


8 Wochen später gab es endlich gute Neuigkeiten: 

Die Infektionszahlen waren stark gesunken. Wir durften wieder spazieren gehen, bisschen Sport im Freien machen.

Die ersten Impfstoffe waren entwickelt und die erste Testphase eingeläutet.

Ich fand, das war ein guter Zeitpunkt, mir endlich selbst in den Arsch zu treten und etwas für mich zu tun.

Ich bewegte meinen schwerfälligen, miefenden Körper von der Couch, öffnete meine Fenster und ließ mir Badewasser ein. 

Mein Körper hatte ein Rundum Beauty Programm dringend nötig.

Ich schaltete Spotify ein und lauschte den sanften Klängen von Toms Band, während ich in die dampfende Wanne stieg und genießerisch die Augen schloss, nachdem ich mich zurück gelehnt hatte. 

Mindestens 2 Stunden lag ich einfach so da und lauschte Toms Stimme.

Die Musik und ich waren eins, als würden wir zusammen gehören.

 

Ich wusch endlich meine Haare, gönnte ihnen ebenfalls eine pflegende Maske und rasierte meine Beine.

Nachdem ich das erledigt hatte, legte ich noch eine Gesichtsmaske auf und wollte gerade aus der Wanne steigen, als ich realisierte, dass mein Player soeben „Deep Blue Sky“ spielte.

Der Song, den ich für meine Jungs beim Flaschendrehen hatte singen müssen.

Ich erschauderte kurz, stieg aus der Wanne und beschloss, einen Spaziergang durch die Stadt zu machen.

Ich wollte einfach ein bisschen meine Beine vertreten. Eventuell an ein paar meiner Lieblings locations vorbei schlendern und in Erinnerungen schwelgen. 

Das hatte mir in der Vergangenheit immer sehr gut getan.

 

Ich wählte Leggings und ein altes T-Shirt, dazu Sneaker.

Meine Haare ließ ich Lufttrocknen - würde mich doch eh keiner sehen - und machte mich so auf in die Innenstadt. 

Es tat gut, frische Luft zu atmen. Der Duft der Innenstadt – ich hatte ihn so vermisst.

Die ganzen kleinen Vögelchen, die herum fiepten und aufgeregt waren, weil sie hofften, dass ein Mensch endlich wieder etwas fallen lassen würde, was sie sich schnappen konnten.

Ich beschloss, zum Bäcker zu gehen und eine Stange Weißbrot zu kaufen.

Damit setzte ich mich auf die nächste Bank.

Mindestens 10 kleine Vögelchen und 5 Tauben gurrten und flatterten aufgeregt um mich herum.

Beobachteten mich neugierig, aber mit Vorsicht.

Eilig zupfte ich ein Stück Brot ab und schmiss es den Kleinen hin.

Fröhlich hüpften sie zu ihrem Mittagessen, doch waren nicht schnell genug.

Die Tauben waren schneller gewesen und kämpften nun um ihre Beute.

Ich machte also viele kleine Brotkrumen und warf sie der Schar entgegen; Was im Nachhinein betrachtet nicht die Hellste meiner Ideen gewesen war.

Denn anstatt ca. 15 hungrige Mäuler zu stopfen und glücklich zu machen, kam die nächste Schar angeflattert und nun sahen mich ca. 30 Augenpaare erwartungsvoll an.

Ich grinste. 

Nachdem mein Brot aufgebraucht war, lief ich weiter.

Ich kam an meinem absoluten Lieblings-Club der Stadt vorbei, doch anstatt dass die Erinnerungen mich mit Freude erfüllten, kam wieder Trauer hoch.

Hier hatte ich Basti quasi kennen gelernt und es schmerzte mich so sehr.

Ich hatte ihn seit 785 Tagen nicht mehr gesehen…





- Weiter -