Groupie Girl, Teil 1



Teil 1: Michelle 

Michelle rannte so schnell sie konnte.

Laut ihrer Uhr hatte sie noch 5 Minuten Zeit, aber als sie sich dem Busbahnhof näherte, sah sie, wie eben der letzte Fahrgast einstieg und der Fahrer die Tür schloss.

„Wartet! Ich bin gleich da“ rief sie atemlos, doch die Entfernung war zu groß und der Motor des Busses heulte bereits auf. 

Michelle beschleunigte ihren Schritt, kam ins Straucheln und wedelte wild mit ihren Armen, um nicht völlig das Gleichgewicht zu verlieren.

In letzter Sekunde fing sie sich und rannte weiter.

„Jetzt warte doch, Du Idiot. Ich bin gleich da!“

… doch es war zu spät. Der Flixbus rollte aus seinem Parkplatz und machte sich auf den Weg.

Die Brünette blieb außer Atem stehen und fluchte.

„3 Minuten! Ich hab noch 3 verfickte Minuten Zeit… kannst Du keine Uhr lesen, du verdammter Hurensohn?“

Wütend trat sie gegen die Bank, die vor ihr stand und weinte bitterlich. 

 

Der Abend war perfekt gewesen.

Sie hatte eine kleine, ruhige Reise mit dem Bus nach München unternommen, um ihre Lieblingsband zu sehen… um IHN zu sehen: Basti!

Der Gitarrist der Band war bereits seit 5 Jahren ihr heimlicher Schwarm und sie nutzte jede Gelegenheit, um in seiner Nähe sein zu können.

So auch heute.

Sie war, mal wieder, mit ihrem letzten Geld nach München gereist und hatte noch etwa 5 Euro einstecken gehabt, um sich etwas zu trinken kaufen zu können.

Die Eintrittskarte hatte sie bereits vor Wochen gekauft.

Da der Konzertschluss für 23 Uhr angemeldet gewesen war, der letzte Bus um 0.15 fuhr und sie keinerlei Geld mehr hatte, um sich in ein Hostel einzumieten, hatte sie beschlossen diesen letzten Bus zu buchen.

Das Konzert war bezaubernd gewesen, ihr Angebeteter hatte umwerfend ausgesehen – heute komplett in schwarz gekleidet, mit einem roten Gürtel und rotbraunen Schuhen.

Seine hellbraunen, lichter werdenden Haare hatte er elegant unter einer Schiebermütze versteckt.

Seinen Bart trug er wie gewohnt: ungestutzt und etwas schmuddelig - genau wie sie es liebte.

Als sie die location betreten hatte, war er strahlend angekommen, hatte sie begrüßt und fest in den Arm genommen. 

Im Allgemeinen hatte sie das Gefühl, dass Basti sie die letzten Wochen herzlicher begrüßte und auch während Konzerten häufiger beobachtete, als all die Jahre zuvor. 

Heute Abend hatte er ihr, während ihres Lieblingssongs zugezwinkert und dies hatte bewirkt, dass sie nach dem Konzert ganz wuselig zum Merchstand, wo die Band nach ihrem Auftritt ihre Shirts und Alben verkaufte, geschwebt war und länger als geplant mit ihm geredet hatte.

Hastig aber innig hatte sie sich von ihm und dem Rest der Band verabschiedet und war zum Busbahnhof geeilt.

 

Jetzt stand sie verzweifelt hier und hatte keine Ahnung, wie sie wieder heim kommen sollte. 

Sie hatte keinen einzigen Cent mehr – weder einstecken, noch auf dem Konto und selbst wenn, der nächste Bus würde frühestens in 6 Stunden gehen. 

Jammernd putzte sie sich die Nase und zog ihr Handy aus der Tasche.

Die einzige Möglichkeit, die ihr jetzt noch blieb, war die, Tom anzurufen. 

Die Nummer des Sängers hatte sie bereits seit Monaten.

Sie nutzte sie aber nur, wenn sie dringend Infos über ihre Konzerte brauchte oder um ihn und die Band, auf dem Weg zu Konzerten, über Staus zu informieren.

Sie kam sich mehr als bescheuert vor, ihn jetzt anzurufen und um diesen Gefallen zu bitten, aber dies war ein äußerster Notfall!

Michelle wischte nach rechts, scrollte im Telefonbuch nach unten und tippte schließlich schweren Herzens und mit flauem Gefühl im Magen die grüne Taste. 

Nach nur 2-mal klingeln, meldete sich die ihr vertraute Stimme mit einem sanften „Hallo?“

Michelle atmete einmal tief durch „Tom? Michelle hier. Sorry, dass ich dich anrufe, aber ich habe ein Problem…“

 

10 Minuten später stand sie wieder vor der location.

Das „Milla“ hatte bereits geschlossen und die Band das Equipment vollständig im Bus verstaut.

Verschüchtert dreinblickend blieb Michelle vor dem Bus stehen und schaute Tom an, der sie sofort in den Arm nahm.

„Was machst Du denn für Sachen“, fragte er, während er sie freundschaftlich drückte und ihr den Rücken streichelte.

„Also pass auf: tatsächlich fahren wir erst morgen gegen Mittag wieder nach Hause. Hast du denn wenigstens eine Unterkunft?
 Mit nach Hause können wir Dich auf jeden Fall nehmen; Platz ist noch.“

Die Brünette schüttelte, nun wieder weinend, den Kopf.

„Wir haben doch noch Platz in der Unterkunft!“

Dieser Satz ertönte ein Stück hinter Tom und Michelle war erstaunt, von wem diese erfreuliche Nachricht ausgesprochen wurde. 

Sie hob den Kopf und sah zu Sebastian, der sie strahlend anschaute.

„Da steht `ne Couch in meinem Zimmer. Die kannst Du gerne benutzen.“

„Ist das Dein Ernst“, entfuhr es ihr entgeistert.

Basti nickte „Klar. Decken müssten auch genug da sein… solange Du es nicht überall rum erzählst!“

Michelle war etwas gekränkt „Na bitte, für wen hältst Du mich denn? 

Eigentlich gerade DU müsstest das besser wissen.“

„Na dann hopp.“ Basti zwinkerte Michelle zu und hielt ihr galant die Tür auf.

„Rein mit Dir.“

 

Ihre Gefühle fuhren Achterbahn.

Sie saß neben Basti auf der Rückbank.

Da der Platz hier hinten sehr eng bemessen war, drückte ihr Arm an seinen.

Sie spürte die Wärme seiner weichen Haut, hörte leise seinen Atem und roch sein After Shave.

Ihr Herz fühlte sich an, als wolle es in ihrer Brust zerspringen.

Er sah so weich und zerbrechlich aus im Schein seines Handy- Displays.

Michelle ignorierte großzügig den Fakt, dass er gerade ganz offensichtlich Liebesschwüre mit seiner Liebsten austauschte und seufzte leise.

Wie gerne hätte sie jetzt die Hand ausgestreckt und sein Gesicht berührt.  Ihm zärtlich über sein golden schimmerndes Haar gestreichelt. 

Tom fuhr den Bus, während eine 60er Band im Radio herzzerreißend über die Tücken der Liebe zelebrierte.

Alex hatte es sich neben Tom gemütlich gemacht und spielte an seinem Handy, während Kai auf der Rückbank lag und mit geschlossenen Augen vor sich hin grinste.

Dieser Mann schien immer zu grinsen und immer gute Laune zu haben.

Irgendwie beneidete sie ihn dafür und fragte sich, an was er wohl gerade dachte.

Diese ganze Situation erschien so surreal.

Aber Michelle genoss jede Sekunde.

Mühselig fischte sie ihr eigenes Mobiltelefon aus der Tasche und öffnete ihre Solitaire App, um sich ebenfalls zu beschäftigen bis sie ankamen. 

Michelle fragte sich, ob die „Jungs“ sie jetzt wohl als Groupie sehen würden? 

Oder taten sie es bereits? 

Das ein oder andere Mal war sie bereits so betitelt worden und ihr war durchaus klar, dass sie das in den Augen vieler auch war, aber das waren nun mal nicht ihre Absichten.

Sie liebte Musik und brauchte Konzerte, wie die Luft zum Atmen.

Sie begehrte Basti auf das höchste Maß, wie man einen Menschen nur begehren konnte.

Aber sie tat dies aus tiefstem Herzen.

Klar, hatte sie ab und an auch sexuelle Gedanken über ihn, aber im Grunde war es einfach nur tiefe, aufrichtige Liebe, die sie für ihn empfand.

Wenn sie nur an ihn dachte, hüpfte ihr Herz vor Freude und blieb dann für einige Sekunden still stehen.

Das Gefühl von immenser Wärme machte sich in ihrem Körper breit und erfüllte sie von den Zehenspitzen bis in die Haarwurzeln.

Jedes Mal wenn ein Konzert mit ihm anstand, fuhr ihr Puls Achterbahn und die Vorfreude war so groß, dass sie das Gefühl hatte sich übergeben zu müssen.

Und jedes Mal wenn sie ihn längere Zeit nicht sah, hatte sie das Gefühl, dass ihr Innerstes starb.

Wenn sie ihn dann endlich wieder sah, hatte sie direkt nochmal alle zuvor genannten Gefühle auf einmal und sie freute sich so sehr, dass es wehtat.

Ist es nicht das, was wahre Liebe ausmachte? 

Sie liebte Basti für sein Talent. 

Seine Stimme. 

Seinen Ehrgeiz und seinen Fleiß.

Sein Lachen erwärmte ihr Herz und ließ es vor Freude explodieren.

… Und sie wollte jetzt gar nicht erst anfangen darüber nachzudenken, wie wunderschön seine braunen, mandelförmigen Augen aussahen und was es in ihr bewirkte, wenn sie in diese sah. 

Seit sie neben ihm saß, hatte sie wieder mal diese Gefühle in sich - alle auf einmal.

Und es fühlte sich zehnmal intensiver an, als sonst. 

Es kribbelte in ihrer Magengegend und tatsächlich war ihr auch etwas schlecht. 

Bastis Hand berührte die ihre und riss sie aus ihren Tagträumen.

„Wir sind da“, wiederholte er lachend.

Michelle lief knallrot an.

Wie oft hatte er ihr dies schon gesagt? 

Dann realisierte sie, dass der Bus tatsächlich zum Stehen gekommen und die Hälfte der Band bereits ausgestiegen war. 

Umständlich löste sie den Sicherheitsgurt und rutschte aus ihrem Sitz.

Tom reichte ihr die Hand, zum Aussteigen, während die restlichen Bandmitglieder ihre Rucksäcke aus dem Kofferraum holten.

„Du hast jetzt natürlich nichts dabei, oder“, fragte Basti sie, als sie die Stufen zu ihrem Apartment hochstiegen.

„Was dabei“, fragte Michelle verdutzt und schaute ihn fragend an.

Dieser lachte wieder herzlich und deutete auf seinen Rucksack.
 „Was zum schlafen? Wechselkleidung?“

Jetzt verstand sie was er meinte und lachte nervös. „Nope. Sieht so aus, als müsse ich nackt schlafen, eh?“ 

… was alle 4 Männer dazu brachte, laut zu lachen.

Und Kai ließ sich dazu hinreißen, laut zu grölen und zu pfeifen. „Ausziehen! Ausziehen!“

Tom blieb entgeistert stehen und schaute Michelle mitleidig an“ Mich, ich hab bestimmt was dabei, was dir passt.“

Die Betroffenheit in seinem Blick und die Sanftmut in seinen Augen ließ nun Michelle in lautes Lachen ausbrechen.

Freundschaftlich strich sie ihm über die Schulter. „Glaub mir, mich nackt, ist das Letzte, was ihr sehen wollt. 

Wir finden schon eine Lösung“, dann nahm sie Tom ihn den Arm und drückte ihn. „Danke ... Für alles!“





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