Sam Winchester´s Home for Christmas, Teil 4


 





Die Morgendämmerung setzte gerade ein, als ein noch etwas verschlafener - und als Einziger unverkaterter - Sam aus dem Schlafzimmer seines Bruders schlürfte.
Er sah sich um und entdeckte Joanne neben ihrer Mutter schlafend auf der Couch.
Von seinem Bruder jedoch war weit und breit nichts zu sehen.
Sam hatte so ein Gefühl und machte sich auf den Weg in die Garage.

"Hey, Schlampe, selbst kurz vor der Bescherung kannst Du Deine Finger nicht von der Karre lassen, huh?"
Dean sah erschrocken auf und schüttelte energisch den Kopf. Liebevoll strich er noch einmal mit seinen Fingern über den frisch aufpolierten Lack des Impala und sah Sam ernst an.
"Hast Du noch das Päckchen, was ich Dir gegeben hab?"
Sam zog die Stirn in Falten. "Klar. Oben in meiner Jacke."
"Na dann… Lass uns Geschenke auspacken gehen."

Als Sam und Dean das Innere des Appartements erreichten, bemerkten sie, dass die Harvelle Frauen nun ebenfalls aufgestanden waren.
Ellen hatte bereits den Kaffee aufgesetzt und schaltete soeben den Herd ein, um ihnen frische Pancakes zu machen.
Sam begab sich ins Schlafzimmer und kam wenige Minuten später mit dem Päckchen in der Hand zurück.
Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass Jo soeben ein kleines Päckchen öffnete, was genauso aussah wie das, was er in Händen hielt.
"Mach es auf!", unterbrach ihn Dean. Ungeduldig wippte er von einem Fuß auf den anderen und starrte seinen Bruder vorfreudig an.
Er bekam gerade noch mit, dass Joanne ihr Geschenk auspackte, hörte ein leises Klappern und machte sich dann daran, es ihr gleich zu tun.
Ellen lachte lauthals los, als sie Sam´s Geschenk sah und meinte dann neckend, "In dem Teil siehst Du bestimmt verdammt heiß aus."
Dean Gesicht wurde knallrot, während Sam den schwarzen Spitzenstring begutachtete, ihn schließlich keck vor sein Genital hielt und mit verführerischem Augenaufschlag hauchte: "Der passt ja genial zu den roten Strapsen, die ich Dean zum Geburtstag schenken wollte!"
Der Ältere riss seinem Bruder verschämt das Frauen-Höschen aus der Hand und hastete schließlich zu Jo, die ihm - sich immer noch krümmend vor Lachen - "ihr" Geschenk übergab und sich dann lachend auf die Couch fallen ließ.
Dean packte seinen Bruder am Ärmel und zog ihn mit sich nach draußen.
Die frische, kalte Wintersluft wehte den Brüdern um die Ohren und Sam schaute seinen Bruder erwartungsvoll an, während er eisern bemüht war, nicht weiter über dieses kleine Missgeschick zu lachen.
"Also, Dude, wo ist das richtige Geschenk?"
Dean sagte nichts. Er drehte sich einfach um und lief Richtung Garage.
Nachdem er das Tor geöffnet hatte und der aufpolierte Impala ihnen entgegenstrahlte, überreichte er seinem Bruder einen kleinen Schlüsselbund.
Daran hing unverkennbar ein Autoschlüssel und ein kleiner schwarzer Anhänger mit der Aufschrift "Jerk"
Sam grinste und wurde sogleich wieder ernst.
"Du erzählst mir jetzt aber nicht allen Ernstes, dass Du… Ich mein, das ist Dad´s… Du liebst diese verdammte Kiste…"
Dean lächelte spitzbübisch, ging ins Innere der Garage und öffnete hinter dem Impala eine fast nicht sichtbare Tür.
Sam lief zu ihm und war erstaunt, denn im hinteren Teil der Garage befand sich ebenfalls ein schwarzer 67 Impala Chevrolet!
"Meinst Du ernsthaft, ich überlass Dir mein Baby? Ganz schön arrogante Schlampe bist Du geworden, Sammy!"
Was ihm wiederum eine harte Kopfnuss einbrachte.

Ellen betrachtete freudig vom Fenster aus, wie Sam und Dean sich im Schnee balgten. Der Anblick machte sie sehr glücklich.
Seit sehr langer Zeit hatte sie Dean nicht mehr so glücklich gesehen und sie war froh, dass sie seine Bitte nicht abgeschlagen und ihm bei den Vorbereitungen für dieses Weihnachtsfest geholfen hatte.
Der Weg von Kansas hierher war zwar elend lang gewesen, doch im Endeffekt hatte es sich gelohnt.
Als sich Jo neben sie stellte, wurde sie auf einmal ernst. "Joanne Harvelle, damit eins klar ist: ich liebe Dean als wäre er mein Sohn und ich liebe Dich. Aber sollte ich merken, dass zwischen euch zwei was geht, dann schwöre ich bei Bobbys Grab, ich bringe ihn um!"
Jo sah sie entsetzt an, wurde rot und zog dann den schwarzen String heran. "Du meinst deswegen?"
Ellen nickte.
"Damit hab ich nichts zu tun. Ich schwöre es!"
Ellen grinste nun wieder. "Ich weiß, Schätzchen. Ich weiß. Das hat er von seinem Vater; total unbeholfen was Geschenke aussuchen angeht."
"Ja, aber eins musst Du ihm lassen: er hat einen guten Geschmack!"
Die beiden Frauen sahen sich lächelnd an und nahmen sich dann in den Arm.
"Merry Christmas, Mom."
"Merry Christmas!"

Sam prustete, als er sich aus dem Schnee aufrappelte und wischte hektisch den Schnee aus seinem Gesicht.
"Na warte, Du Drecksack, wenn ich Dich...", doch augenblicklich hielt er inne.
Dean stand gedankenverloren an seinen Impala gelehnt und starrte in den Schnee.
"Weißt Du, Sam, Du erinnerst Dich nicht daran, aber an Deinem 1.Weihnachtsfest, da hab ich Mom und Dad erzählt, dass genau DAS geschehen wird!"
Sam runzelte die Stirn.
"Ich hab damals mein Taschengeld gespart, um Dir einen Mini-Impala zu schenken und hab Dad gesagt, dass ich Dir einen Richtigen kaufen werde, wenn ich erwachsen bin. Dass wir zwei dann zusammen die Highways unsicher machen werden..."
Sam stiegen Tränen auf. Er erinnerte sich sehr wohl. War ja erst ein paar Stunden her, dass er dieses Szenario zusammen mit ´Bobby´ beobachtet hatte.
"Ich hab Dad versprochen, dass wir sie an den Feiertagen besuchen werden…" Dean stockte erneut, während er seine rechte Hand zu einer Faust ballte und hart damit gegen das Motorheck schlug.
Die Tränen liefen unaufhörlich und auch Sam ließ seinen freien Lauf.
"Verdammt, Dude! Dann lass es uns eben tun!"
"WAS?" Dean sah ihn fragend an.
"Verdammt noch mal, beweg Deinen Arsch, Sunnyboy. Wir gehen Mom und Dad besuchen!"

Sam öffnete die Fahrertür seines Impala und beobachtet im Rückspiegel wie Dean dasselbe mit seinem Wagen tat.
Das Auto roch nach frischem Leder und Politur und es fühlte sich gut an.
Zwei Winchesters, zwei identische Wagen. Sam stutzte und beugte sich nach vorne.
Ein nagelneues CD-Deck befand sich in der Armatur und als sich Sam weiter umsah, entdeckte er, dass die Lederbezüge, auf denen er saß, die waren, die Dean mit ihm zusammen gekauft hatte.
Stirnrunzelnd öffnete er erneut die Wagentür und stieg aus.
In leicht gebeugter Haltung begutachtete er die Reifen, richtete sich wieder auf und ging zum Kofferraum.
Wie er bereits vermutet hatte, befand sich auf diesem ein nagelneuer Aufkleber mit der Aufschrift "Born to be BAD!"
Sam schmunzelte und drehte sich zu Dean um.
Der Ältere grinste ihn an und es bedurfte keiner Worte. Sie verstanden sich auch so.
Sam spürte, was Dean dachte und Dean wusste, dass dieses Geschenk das Allerbeste war, das er je in seinem Leben gemacht hatte.
Nicht zuletzt wusste er, dass er keine Sekunde zu spät gekommen war und dass sich nun alles zum Guten wenden würde.
Lächelnd drückte er auf die Hupe und Sam setzte sich augenblicklich in Bewegung, schmiss sich erneut hinters Lenkrad seines Wagens und ließ den Motor an.

Quietschend kamen die Brüder in ihren Autos vor dem örtlichen Friedhof zum Stehen.
Sam stieg mit einem fragenden Blick aus und musterte seinen Bruder, der schon fast vor ihm stand, von oben bis unten.
"Was wollen wir hier?"
"Mom und Dad besuchen."
Sam verstand nicht. "Aber Mom liegt in Lawrence und Dad..."
"Nicht mehr. Ich hab ihre sterblichen Überreste hierher bringen lassen, damit ich sie in meiner Nähe hab und immer besuchen kann, wann ich will."
Dean zuckte mit den Schultern. "Ist reichlich egoistisch, ich weiß. Aber ich dachte mir, sie hätten es auch gewollt, zusammen beerdigt zu sein!"
Sam nickte verstehend und legte nun seinem Bruder freundschaftlich den Arm um die Schulter.
"He, kein Grund mich anzuschwuchteln", sagte dieser entrüstet und versuchte den Arm abzustreifen.
Doch Sam ließ ihn nicht los und verpasste ihm mühelos einen Kick in den Hintern. "Hat Vorteile, wenn man so groß ist".
Dean vollführte eine schnelle Drehung, packte Sam am Armgelenk und brachte ihn Sekunden später zum Fall. "Genau. Und der Aufprall ist doppelt so hart!"
Lachend streckte er Sam nun seine Hand entgegen und gemeinsam betraten sie - jeder mit einem großen Blumenstrauß in der Hand - den kleinen, idyllisch wirkenden Friedhof.

Epilog
Müde lag Sam auf der Couch und zappte von einem Programm ins Nächste.
Er dachte über sich und seine weitere Zukunft nach.
Es war kurz vor Ostern und er und Dean hatten sich überlegt, ob sie dieses mit den Harvelles im neu aufgebauten Roadhouse verbringen wollten.
Sam wusste, dass Dean diesen Vorschlag gemacht hatte, weil es ihn in den Fingern juckte, wieder auf Jagd zu gehen und nicht zuletzt wollte er sich natürlich auch noch mal bei den zwei Frauen bedanken, dass sie ihm Weihnachten beigestanden und tatkräftig unterstützt hatten.
Aber Sam war sich nicht sicher, ob er das wollte.
Roadhouse bedeutete zu viele Erinnerungen. Wieder jagen bedeutete noch mehr Erinnerungen.
Er wusste, dass sich Bobbys Grab in Kansas befand und allein der Gedanke ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen.
Andererseits musste er sich seiner Vergangenheit stellen. Er musste über seinen Schatten springen und vergessen...
"Bist Du fertig?"
Dean stand mit gepackten Koffern vor ihm und strahlte ihn an.
"Gib mir noch ne Minute", erwiderte Sam matt und sah seinem Bruder hinterher, der sich umdrehte und durch die Wohnungstür verschwand.
Sam widerstrebte es.
Er hatte Angst. Auf der anderen Seite konnte er es sich auch nicht vorstellen, ein Leben lang mit seinem Bruder zusammen dieses stinklangweilige, normale Leben zu führen - obwohl der dieses ja nur, wie er jetzt wusste, aus Liebe zu ihm begonnen hatte.
Sam seufzte.
"Du weißt, was Du zu tun hast, Sammy! Tief in Deinem Herzen weißt Du es!"
Der brünette, schlaksige Mann drehte sich abrupt um und rieb sich kräftig die Augen, als er die Gestalt sah, zu der die Stimme gehörte.
Doch selbst nach sekundenlangem Reiben - was nur zur Folge hatte, dass seine Augen rot wurden und zu tränen anfingen - verblasste die Frau vor ihm nicht. Nein, es wurde sogar noch schlimmer.
Neben seiner Mutter "materialisierte" sich nun auch noch sein Vater, Bobby und danach seine Freundin Jessica.
Die Geister vom letztjährigen Weihnachten waren zurückgekehrt und standen nun einträchtig nebeneinander vor ihm.
"Deine Mutter hat Recht, Sam. Hör auf sie." Bobby lief einen Schritt nach vorne und sah dem Jüngeren tief in die Augen.
"Bobby, ich..."
"Du hast keine Schuld daran. Du kannst nichts dafür. Rede Dir das nie wieder ein, hörst Du?"
Sam hatte einen Kloß im Hals und schluckte hart.
Bilder der Vergangenheit stiegen in ihm auf…

Er neben Dean. Sie beide schwer bewaffnet; auf Dämonenjagd, in einem großen Wald. "Scheiße, was war das?" Dean sah Sam panisch an. Noch nie hatte ein Auftrag sie derart mitgenommen und sie an ihre Grenzen gebracht...

Bobbys Stimme holte ihn in die Gegenwart zurück. "Ich war solange dabei. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Du konntest doch nicht wissen, dass ich..."
"HÖR AUF!", schrie ihn Sam bettelnd an. "Hör auf, Bobby. Ich kann das nicht ertragen!"
John Winchester kam nun ebenfalls nach vorne. "Du hast getan, was Du tun musstest, Junge. Ich hab Dich dazu erzogen. Wenn Du jemanden die Schuld geben willst, gib sie mir."
Sam schluchzte. Er fühlte, dass er kurz davor war wieder zu versinken. Sich seinem Schmerz hin zu geben und sich treiben zu lassen. Doch seine Mutter und auch Jess waren sofort zur Stelle und fingen ihn auf.
"Du darfst nie vergessen, wie sehr wir Dich lieben und vor allem..."
"Vergiss nicht, dass Dean Dich liebt und Dich braucht. Ohne ihn, wärst Du heute nicht hier!" Mary streichelte Sam seine zotteligen Haare aus der Stirn und küsste ihn.
Wieder spürte er die Kälte ihrer Lippen auf seiner Haut und er erschauderte.
Die Gestalten vor ihm verblassten allmählich und Sam spürte, wie er von einem warmen, innigen Gefühl durchflutet wurde.
Bobby hatte sich Jess zugewandt und lächelte ihr freundlich zu, während John seine Mary in die Arme schloss und sie herzlich ansah.
"Denk immer daran, was Du gesehen und was ich Dir gesagt habe. Liebe ist das Zauberwort, Sammy. Liebe!"
Dann waren die vier verschwunden.

"Verdammt, wo bleibst Du denn?" Dean riss ungeduldig die Wohnungstür auf und sah in das verstörte Gesicht seines Bruders.
"Scheiße, Du siehst aus, als hättest Du nen Geist gesehen, Alter!"
Sam grinste. "Nicht nur einen."
"Alles klar bei Dir?", fragte Dean und sah Sam ernst an.
"Klar."
Dean nickte.
Sam ordnete seine Gedanken und sah noch einmal auf die Stelle, wo eben seine Eltern und seine Freunde gestanden hatten. Dann packte er seine Reisetasche und drehte sich um.
"Na, was jetzt? Können wir fahren?"
"Klar, ich hab doch nur auf Dich gewartet!"
"Sprach der Senior und schnappte sich seine Gehhilfe!" Sam kicherte in sich hinein und lief an dem verdutzt dreinblickenden Dean vorbei.
"Arschloch."
"Drecksack."

Das zuschlagen der Autotür signalisierte Sam, dass es losgehen konnte.
Dean saß hinter ihm in seinem Wagen und starrte ungeduldig nach vorne.
Sam grinste und drehte den Zündschlüssel.
"Ich liebe Dich, Dude", flüsterte er in die Leere des Wagens und fuhr los.
Er wusste nicht wie lange es dauern würde, bis er das Erlebte verkraftet hatte; aber solange sein Bruder bei ihm war, wäre alles in bester Ordnung.
Ein bisschen jagen würde ihn definitiv auf andere Gedanken bringen.
Und die silberne Christbaumkugel an seinem Rückspiegel, in die sein Bruder einst liebevoll "Sammy" eingraviert hatte, erinnerte ihn stets daran wie viel Glück er hatte und dass alles schlimmer hätte kommen können...
 




- Ende -