Minove Donedt




Minove Donedt

Minove Donedt schlenderte durch die schon fast leeren Straßen.

Die Geschäfte hatten bereits geschlossen und nur noch wenige Menschen waren an diesem kalten Novemberabend unterwegs.

Dunkelheit legte sich auf die kleine Stadt und die altertümlichen Laternen schufen warme Lichtinseln in den mittelalterlichen Gäßchen.

Schneeflocken tanzten lautlos durch die Häuserschluchten.

Minove blickte nach oben und lachte leise, als eine winzige Schneeflocke kalt und feucht auf ihrer Nasenspitze landete.

Die junge Frau hatte es nicht eilig, dieser Tag gehörte allein ihr.

Ihre beiden süßen Kinder verbrachten den Tag bei ihrem Großvater, der sie fürchterlich verwöhnen würde mit Kakao, Süßigkeiten und Geschichten.

Die Kids liebten den monatlichen Opa-Tag und Minove bekam so Gelegenheit, für ein paar Stunden die Welt von Winnie Puh und Hello Kitty zu verlassen, ohne ein schlechtes Gewissen ihren Kindern gegenüber haben zu müssen.

 

Nach einem langen und ungestörten Frühstück hatte sie sich einen Frisörtermin gegönnt, ihrem Lieblingscafe einen Cappuccino lang einen Besuch abgestattet und den Nachmittag durch die Stadt schlendernd verbracht.

 

Ein paar Kleinigkeiten trug sie nun in bunten Tüten mit sich: den roten weichen Schal, den ihre Tochter letztens so sehnsüchtig betrachtet hatte und das kleine Feuerwehrauto für ihren 1,5 jährigen Sohn.

Zuhause würde sie sich einen heißen Kaffee zubereiten und in dem alten Schaukelstuhl ihrer Großtante in ihrem Lieblingsroman schmökern und die Ruhe genießen.

Minove war mit dem Tag zufrieden.

Sie hatte es nicht eilig, bis zur Bushaltestelle waren es nur noch ein paar Meter und der Bus würde frühestens in einer halben Stunde abfahren.

 

An einem kleinen Schaufenster blieb Minove stehen und betrachtete den ausgelegten Schmuck. Er war für ihre Verhältnisse viel zu teuer, aber anschauen war ja nicht verboten.

Ein silberner Ring gefiel ihr, aber auch seine Preisklasse war momentan nicht drin.

Plötzlich fiel ein Schatten auf die Auslage des Juweliers.

Minove drehte sich überrascht herum, sie hatte keine Schritte hinter sich bemerkt.

Doch sie konnte niemanden entdecken.

Vielleicht hatte sie sich geirrt? Nein, sie hatte bestimmt einen Schatten gesehen.

Ein unheimliches Gefühl beschlich sie.

Die junge Frau spürte, dass sie nicht mehr alleine war, auch wenn sie noch immer niemand sehen konnte.

„Sei nicht so albern, Minove!“ schalt sie sich selbst und versuchte, die aufkommende Furcht einfach zu ignorieren.

Minove beeilte sich nun, zu dem kleinen Bushaltehäuschen zu kommen.

Die gemütliche Stimmung war verflogen, irgendetwas – sie ahnte es mehr, als dass sie es konkret benennen konnte – lauerte auf sie.

Minove atmete erleichtert auf, als der Bus die Haltestation anfuhr.

Gut, so würde Sie nicht länger warten müssen.

 

Der Bus war nur spärlich besetzt.

Sie suchte sich einen Platz im hinteren Bereich und lehnte ihren Kopf an die kühle Fensterscheibe.

Sie war wohl erschöpfter als sie gedacht hatte und sicherlich war es die aufkommende Müdigkeit, die ihren Sinnen gerade einen Streich gespielt hatte.

Sie schloss für einen Moment die Augen und lächelte über ihren kleinen Panikanflug von vorhin.

Der Bus zuckelte durch die abendliche Kleinstadt.

Vereinzelt stiegen weitere Fahrgäste ein oder aus und Minove entspannte sich langsam.

Alles war wie immer. Kein Grund, vor ominösen Schatten wegzulaufen.

Wieder hielt der Bus und ein Mann stieg ein.

Er hatte zerstrubbelte, kurze dunkle Haare und trug einen beigen, leicht schmuddelig wirkenden Trenchcoat über einem dunklen Sakko und einem schlampig gebundenen, schmalen Schlips.

Der Busfahrer hatte bereits dreimal nach dem Ziel des neues Fahrgastes gefragt, aber der Trenchcoat Typ beachtete ihn gar nicht. 

Vielmehr suchten seine Augen das Businnere ab, als hoffte er, jemand Bestimmtes anzutreffen.

Zum vierten Mal schnarrte der Busfahrer, diesmal laut und hörbar genervt: „Kumpel, wie weit willst du nun mit? Ich habe nicht ewig Zeit!“ 

Trenchcoat streckte dem Busfahrer einen Geldschein entgegen. „So weit wie sie fahren!“ erwiderte er und schien überrascht, dass der Fahrer nicht von selbst drauf zu kommen schien.

Er wartete nicht auf  das Wechselgeld, das der Busfahrer achselzuckend in seiner eigenen Tasche verschwinden ließ, und hangelte sich bis ans Busende durch, dabei aufmerksam jeden der Fahrgäste für einen kurzen Moment in die Augen schauend. 

Minove hatte amüsiert den Mann beobachtet. Irgendwie kam er ihr zerstreut vor, so, als würde er zum ersten Mal im Leben Bus fahren.

Mittlerweile war Trenchcoat bei ihr angekommen und ihre Blicke trafen sich.

`Wow´, er hatte blaue Augen und sie schienen direkt in ihre Seele zu blicken.

Verlegen wandte sie den Blick ab.

Der Trenchcoat-Typ setzte sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, neben sie und blickte starr gerade aus.

Der Bus fuhr wieder an und aus den Augenwinkeln musterte Minove diesen seltsamen Mann mit den blauen Augen.

Warum hatte er sich direkt neben sie gesetzt?

Und jetzt saß er steif wie ein Geigenbogen, mit gefalteten Händen und starrem Blick, seit geschlagenen 5 Minuten neben ihr.

Wenn das eine Art Anmache war, dann war sie nicht gerade erfolgreich.

Minove beschloss, einfach abzuwarten.

Was sollte ihr hier auch passieren? 

Merkwürdigerweise fürchtete sie sich nicht vor dem Fremden, im Gegenteil.

Seine Gegenwart wirkte beruhigend auf sie und das letzte bisschen Angst fiel von ihr ab.

Mittlerweile waren Minove und ihr seltsamer Sitznachbar die einzigen Fahrgäste.

 

Plötzlich fuhr ein eiskalter Windhauch durch den Bus.

War denn ein Fenster offen?

Minove zog die Schultern zusammen und fröstelte. Trenchcoat, neben ihr, schien noch steifer zu werden.

Dann hob er seinen Kopf und blickte sie an. „Hab keine Angst! Dir wird nichts passieren!“ sprach er zu Minove, die ihn entgeistert anstarrte.

Angst haben? Wovor denn?

Aber da hatte sich Trenchcoat schon erhoben und war in der hintersten Reihe des Busses verschwunden.

Unschlüssig rutschte Minove auf ihrem Sitz hin und her.

Sollte sie nachschauen gehen?

Vielleicht war Trenchcoat ja schlecht geworden und er übergab sich gerade zwischen zwei Sitzen?

Angespannt lauschte die junge Frau, aber ausser den Fahrgeräuschen war nichts zu hören, was auf einen kotzenden, verwirrten - aber irgendwie sehr niedlichen - Fahrgast schließen lassen könnte.

Minove versuchte einen Blick auf die hintere Bankreihe zu erhaschen, aber da war niemand mehr.

Der Trenchcoat-Typ schien einfach verschwunden zu sein.

Verschwunden? 

Wie konnte ein Mann aus einem fahrenden Bus einfach so verschwinden?

Die Geschichte wurde langsam wirklich merkwürdig.

 

Schließlich hatte der Bus ihre Haltestelle erreicht.

Minove seufzte, raffte die paar Tüten mit den Geschenken für ihre Kids zusammen und verließ den Bus. 

Der mysteriöse Mann und sein noch mysteriöseres Verschwinden gingen ihr jedoch nicht mehr aus dem Kopf.

Es musste eine Erklärung geben!

Vielleicht war sie doch kurz eingenickt und hatte gar nicht bemerkt, wie der Trenchcoat-Typ den Bus verlassen hatte?

Minove schüttelte den Kopf und beschloss, nicht länger darüber nachzudenken.

Sie freute sich auf einen gemütlichen ruhigen Abend und beschleunigte ihre Schritte zu dem kleinen Mietshaus am Ende der Straße.

 

Und dann war er wieder da, der Schatten.

Diesmal irrte sie sich nicht.

Ein eiskalter Wind wehte Minove entgegen und wieder spürte sie, dass sie nicht mehr alleine war.

Etwas lauerte auf sie, etwas Böses und unheimliches, eine Art Schattenwesen und es schien überall um sie herum zu sein.

Ein Wispern und Raunen wogte aus allen Richtungen auf sie zu, nicht greifbar, nicht lokalisierbar, aber Angsteinflößend.

Minove war eine mutige Frau, die so schnell nichts aus der Fassung brachte, aber dieses unbegreifliche Schattenwesen bescherte ihr Gänsehaut und das unignorierbare Gefühl, in Gefahr zu sein.

Die letzten Schritte zur Hauseingangstür rannte sie, doch sie fühlte, dass sie es nicht schaffen würde.

Das Schattenwesen war zu schnell.

Im Stolpern verlor sie die beiden Einkaufstüten aus den Händen.

Entsetzen krallte sich in ihren Gedanken fest.

Was geschah hier nur?

 

Wie aus dem Nichts stand plötzlich der Mann im Trenchcoat vor ihr.

Minove schrie erschrocken auf, konnte jedoch nicht mehr abbremsen und landete in seinen Armen.

Sofort fühlte sie sich sicher. Seltsam!

Der Fremde und doch so vertraut wirkende Mann stellte sich schützend vor Minove. „Ich hab Dir gesagt, du hältst Dich von ihr fern!“ rief der Fremde mit kraftvoller Stimme zornig in die Dunkelheit vor Ihnen und Minove wusste, dass er das Schattenwesen meinte.

Er hatte es also auch gesehen.

Das Raunen wurde zu einem Zischen, als würde der unheimliche Schatten nur widerwillig von seiner Beute ablassen wollen.

Einige Augenblicke verstrichen – dann schien der Spuk beendet zu sein.

Der Fremde drehte sich, zu der wie erstarrt stehenden Minove, um und blickte ihr erneut so tief in die Augen, dass sie sich sicher war, dass er nun ihre Seele kennen musste.

 

„Was war das gerade?“ brachte Minove endlich die ersten Worte heraus, um Fassung ringend und ihre Gefühle sortierend. 

War das alles real und wirklich passiert?

Konnte so etwas wirklich passiert sein?

Der fremde Mann hatte die beiden Tüten eingesammelt und blickte sie ernst an. „Dein Name ist Minove Donedt und Du wirst beschützt. Du brauchst keine Angst haben.“

Was war das für eine bescheuerte Erklärung und woher wusste der Kerl ihren Namen?

„Ich weiß, wer Ich bin, aber wer zum Kuckuck bist Du?“ fragte Minove.

„Mein Name ist Castiel.“ Mehr sagte er nicht.

Minove nahm ihm die Tüten ab und merkte, wie langsam Ärger in ihr wach wurde.

Als wenn der Name Castiel die merkwürdigen Geschehnisse der letzten Stunde erklären würde!

Castiel blickte sie unverwandt an. „Ich muss jetzt gehen Minove, aber ich verspreche dir, ich werde nie weit weg sein“

´Na das war ja beruhigend! ´ dachte Minove. ´Was glaubte der Kerl eigentlich, wer er war? Er hat Dich gerade vor was-auch-immer gerettet! ´ beantwortete sie sich in Gedanken die ungestellte Frage selbst.

Und er war unbeschreiblich… süß.

Vielleicht sollte sie ihn auf einen Kaffee…? Das war doch die übliche Einladung?

Doch noch bevor sie die Einladung aussprechen konnte, verschwand Castiel vor ihren Augen.

Einen Moment lang glaubte sie, das Geräusch von schlagenden Flügeln zu hören, dann war sie wieder allein.

 

Einige Stunden und ein heißes Bad später war Minove bereit, ihre Erlebnisse des frühen Abends unter #Einbildung abzuhaken.

Entspannt saß sie in ihrem Lieblings Schaukelstuhl und dachte über die Geschehnisse nach.

Sie musste sich geirrt haben.

Es gab keine unheimlichen Schattenwesen und erst recht keine plötzlich auftauchenden und spurlos verschwindenden Männer im Trenchcoat.

Vermutlich war sie nur müde gewesen nach dem langen Tag in der Stadt.

Darüber schlief sie ein.

 

„Mein Name ist Castiel“, flüsterte der Mann in ihrem Traum und seine blauen Augen lächelten sie an.

Er nahm ihre Hand.

„Ich werde immer in deiner Nähe sein, Minove“ 

Und Minove lächelte zurück, nicht daran zweifelnd, dass Castiel die Wahrheit sprach.

Als Castiel seine schwarzen Flügel über sie ausbreitete, fühlte sie wieder dieses unbeschreibliche Gefühl der Geborgenheit.

Sie wusste tief in ihr, dass er die Wahrheit sprach.

Er würde sie niemals belügen.

Minove hatte ihren Engel gefunden.

 

Als sie die Augen aufschlug, brauchte sie erst einmal ein paar Sekunden, um Traum und Realität zu trennen.

Dann lächelte sie wieder.

Etwas kitzelte sie in der Hand.

Es war weich und flauschig… schwarze Federn. Castiel!

Sein Name klang in ihr nach.

Sie würde ihn wieder sehen.

 

 

- Ende-